"Es begann mit den Kampagnen gegen Atom-Tod, die sich von Großbritannien aus über die Welt ausbreiteten. Ziemlich unabhängig davon dann entwickelten sich die 68er-Bewegungen, die wiederum trugen wesentlich zur Entstehung der Neuen Frauenbewegung und der Umweltbewegung bei, nicht zu vergessen die verschiedenen Wellen der Friedensbewegung und schließlich die Antiglobalisierungsbewegungen, die sich vor allem in den Weltsozialforen und der Global-Justice-Bewegung manifestieren. Und dies sind nur einige der Hauptstränge der emanzipatorischen Bewegungen.

Alle haben eines gemeinsam: Wie sehr sie in ihren Aktionen und Forderungen auch lokal oder regional verortet sind, sie sind nicht mehr national eingrenzbar, sondern immer auch transnational. Dies ist ein Spezifikum, das für alle emanzipatorischen Bewegungen gilt. Es scheint, als bildeten sich im Unterbewusstsein der Gesellschaften in vielen Ländern Rhizome von Problembewusstsein, die sich dann an vielen Orten in der Welt in ähnlicher Weise Ausdruck verschaffen.

Diese Transnationalität kann von der immer noch weitgehend national organisierten Politik nicht adäquat beantwortet werden. Deshalb erscheint es durchaus angemessen zu fragen: Welches ist das Verhältnis der emanzipatorischen neuen sozialen Bewegungen zur international institutionalisierten Politik – genauer: zur Euro­päischen Union, als der am weitesten integrierten inter­regionalen und damit transnationalen politischen Organisation und zu den Vereinten Nationen als Organisator von Weltpolitik.

Die neuen emanzipatorischen sozialen Bewegungen entstehen als Bürger-Proteste und sie entwickeln sich wellenartig, sie steigen an, ebben ab, münden manchmal in Institutionalisierungsprozesse, manchmal verschwinden sie und die Aktivisten ziehen sich in Nischen zurück oder sie ändern die Richtung. Soziale Bewegungen beeinflussen die institutionelle Politik und sie können die sozio-kulturelle Verfasstheit von Gesellschaften verändern. Sie sind hybride Gebilde, die sich immer wieder neu bilden und weder durch politische Parteien noch durch staatliche oder überstaatliche Politik gesteuert werden können."

Birgit Daiber
Und sie bewegt sich doch ....
Progressive soziale Bewegungen und ihr Einfluss auf die internationale institutionelle Politik. Ein Lesebuch
ISBN 978-3-945959-05-3  –  2016  –  252 Seiten –  19 €